Werte Leser, manchmal ist mir das Korsett des auf Klickzahlen-optimierten Beitrages einfach zu eng. Jeder, der regelmäßig meine Beiträge liest, weiß, dass ich meinen Lesern etwas abverlange oder besser gesagt etwas zutraue! Wer also in der ersten Zeile wissen muss, was dann weiter unter beschrieben wird, und nach Sätzen mit mehr als 10 Wörtern gelangweilt den nächsten Tab öffnet, seine Whatsapp Nachrichten kontrollieren muss oder sich gelangweilt abwendet, für den ist dieser Beitrag mit Sicherheit nicht…ihr wurdet gewarnt.
Schreiben ist die Kunst des Festhaltens von Empfindungen
Es rauscht der Herbstwind durch die Blätter eines alten kräftigen Nussbaumes, der im Garten meiner Schwiegereltern steht, als ich diese Zeilen schreibe. Man fühlt es, dass der Herbst anklopft, die Blätter werden fahl und die ersten rieseln, sanft durch den Wind getragen, dem Boden entgegen. Sie schaukeln auf die Erde wie kleine Boote, langsam aber unaufhörlich. Die sorgsam in eine Reihe gezwungenen Brombeer- und Physalissträucher setzen sich über ihr aus Draht verwirklichtes Gefängnis hinaus und wuchern wild den letzten bereits tiefer stehenden Sonnenstrahlen entgegen. Dick und prall sind ihre letzten Früchte, die Tiefschwarz glänzen, die Wespen ereifern sich den süßen Saft zu trinken, auch sie spüren den Herbst und wissen um das, was danach kommt. Die Natur dreht sich in einem unendlichen Reigen und manche weilen dabei länger, wie die alten Bäume, die uns Menschen schmunzelnd bei ihrem hektischen Treiben zusehen, während kleine Insekten in wenigen Tagen ihre ganze Lebenskraft aufbrauchen.
In schwierigen Zeiten ist es gut, sich das zu vergegenwärtigen, was um einem herum ist. Ich glaube, wir haben es oft verlernt darauf zu achten, dass wir Teil dieses Kreislaufes sind. Er ist manchmal unerbittlich und gnadenlos, denn die Endlichkeit schwebt über allem, das da lebt.
Ich betrachtete die Reste meines erstens Sideboards, dem ich ein titanisches Schicksal angedacht hatte. Die massiven Eichenbretter waren bereits demontiert, nur noch das skelettartige Gerippe, welches die Schubladen trägt, stand hochkant in meiner Werkstatt. Ich dachte an die Arbeit, die die verdeckten Fingerzinken gemacht hatten und an die schöne kräftige Eiche, welche wohl ihre ersten zarten Wurzeln in den Boden trieb, als gerade der Krieg auf der Krim tobte… nein nicht der jetzige, sondern der, bei dem sich noch Monarchen in Europa bekriegt haben und Österreich lieber heiratete, „Bella gerant alii, tu felix Austria nube“ und so.
Getrennt und doch vereint
Die Schubladen starrten mich auffordernd an. Drei schmale Schubladen und zwei breite kräftige waren es. Sie hatten ihr Leben gemeinsam begonnen, die beiden Gruppen, aber es war an der Zeit für sie, nun eigenständige Wege zu gehen. Es sollten also zwei Rollkästen aus den Schubladen entstehen. Einer schlank und hoch, der andere Breit und nieder.
Ich begann also, aus Überresten von Plattenmaterialien, die von meinem HiFi-Sideboard über geblieben waren, zwei Korpen für die Kästen zu fertigen. Als ich mit dem ersten fertig war, hielt ich kurz inne und musste schmunzeln: Ich baute gerade aus den Überresten der neuen Hifi-Sideboards zwei neue Korpen für die Überreste aus dem ersten Sideboard welche ja das neue verdrängt hatte. In Cultors Werkstatt herrscht eben auch die Natur.
Die zwei Platten, die mich herausfordernd von der Wand her anstarrten, waren eine 15mm Multiplex Platte und eine 19mm 3-Schichtholzplatte. Gleich zu Anfang holte mich also eines meiner Standardprobleme ein „Überreste verbrauchen vs eigentlich reicht das Material aber nicht“.
Die Zuschnitte waren schnell getan, der traditionelle Kampf gegen rechte Winkel. Eineiige Platten wie die Trennfächer musste ich aus Teilstücken fügen. Meine treue Dominofräse arbeitet verlässlich in meinen Händen. Sämtliche Verbindungen machte ich mit der Dominofräse und leimte anschließend die Korpen mit den Rahmenzwingen zusammen, die ein Genuss sind, wenn man rechtwinkelige Strukturen verleimen möchte.








Würde das etwa ein schnelles Projekt werden, wie geplant?! Schnell ein paar alte Platten zusammenleimen, die Schubladen anpassen, streichen und zack fertig…
Winter: eine alte Eiche namens Frankenstein
Und plötzlich war der Herbst vorbei und es war Winter. Die Laubbäume ziehen ihre Kraft in Ihre Wurzeln zurück, werfen ihre Blätter ab und am liebsten würde man als Mensch es ihnen gleich tun. Es ist 05:20 als ich diese Zeilen schreibe. Im Schlafzimmer nebenan wütet die 8te Iteration eines Schnupfenviruses in den Kindern, und somit auch in den Eltern mit gütigen 3 Tagen Verzögerung. Mittlerweile ist es die neue Realität – Schnupfen und kranke Kinder…der Winter eben. Mein Gehirn ist so müde, dass mein Kopf zwar formuliert aber die Finger zu schwach sind, die Tasten durchzudrücken. Als plötzlich Walfische mit Piratenhüten Einzug in den Text finden, bin ich mir sicher, dass ich nur geträumt habe – oder doch nicht?
Die nächste globale Pandemie geht von unserem Schlafzimmer aus, da bin ich mir jetzt sicher. So viele Rhinoviren auf so engem Raum gab es noch nie! Patient null Cultor…tut mir leid Welt, da müsst ihr jetzt durch.
Die alte Eichenabdeckung des Sideboards stand vor mir und sah mich ebenfalls müde an. Sie stammte aus der Zeit ohne Hobel, Winkel oder dergleichen. Einfach eine beschliffene Bohle mit Naturkante und rustikalem Äußeren, doch nach der Schule Cultors würde sie im neuen Glanz erstrahlen und ihre inneren Werte entdecken.
Das hieß: auftrennen, den Kern heraustrennen (wegen der Rissbildungen), abrichten, begradigen und auf gleiche Dicke bringen.




Schnell war klar, dass die Bohle ohne Kern und Splintkante nicht ausreichen würde. Selbst mit einem zweiten breiten Rest einer anderen Eiche würde es nicht reichen.
Die Farbe jedes Eichenbaums ist individuell!
Es ist manchmal ein Puzzle, passende farbliche Stücke zu einem harmonischen Ganzen zu fügen, es ist aber fast unmöglich wenn man dabei auch noch Reste verwerten möchte.
Arbeitsliste für die Verleimung
- Bohle auftrennen
- Farbpuzzle
- Dominoverbinder fräsen
- 1te Leimung
- Seitenleisten Dominoverbindung
- 2te Verleimung
- Schleifen
- Rückwärtige vertikale Stoßleiste anschrauben








Der Arbeitsaufwand für die aufwändigen Deckplatten der Rollkästen war gut und gerne das 3-Fache, als hätte ich einfach genug Holz gehabt! Mein Ziel war es, ausreichend Platz bei den Deckplatten zu erzeugen, da sie als Fernseher-Rollkästen konzipiert waren. Für die größeren Risse habe ich neben dem klassischen Kitten eine neue Technik ausprobiert: schwarzen Holzfüller.


Am Ende sind die zwei Frankenstein-Deckplatten sehr schön geworden, etwas rustikal aber das passt zum Stil und ist gewollt. Jetzt bin ich dann fertig, denke ich. Vielleicht ein schönes Weihnachtsgeschenk für meine Mama ?!
Frühling: alte neue Schubladen und Farben
Es ist Februar, was ist passiert, wo ist die Zeit hin?! Achja die zwei Jungs, ein neuer Job und ein harter verlustreicher Winter ist zu Ende gegangen. Meine böhmische Melancholie wird von den Vogelstimmen in den Bäumen übertönt. Es ist 04:00, die hoffentlich letzte Runde Schnupfen tanzt durch unsere Gemächer. Das Niesen verspottet mich, das Taschentuch zwinkert mir frech zu, NEIN ich gebe nicht auf. Auf der Werkbank haben sich Spinnweben gebildet, der Fernseher steht seit einem halben Jahr am Boden. Den vorwurfsvollen Blicken meiner Prinzessin versuche ich gekonnte zu entkommen, indem ich ihr Frühstück mache. Sie rächt sich still und lässt Säckeweise Stoffe und Kinderspielzeug in der Wohnung herumstehen. Meine moralische Überlegenheit, der Ordentlichere in der Beziehung zu sein, hat sich in Luft aufgelöst, besser gesagt sie ist materialisiert in dem Fernseher der am Boden steht und durch meinen jüngeren Sohn mit Begeisterung mit Handabdrücken überzogen wird.
Ich raffe mich auf, Verdis Gefangenenchor aus Nabucco gibt mir ungeahnte Kraft, die Werkstatt ruft!
Farbe für die Korpen:
Grau und Salbeigrün, naja nicht ganz Frühling aber zumindest nicht schwarz 😉 Wer selber schon einmal gestrichen hat weiß, dass mit dem Wort „streichen“ weit mehr einhergeht als nur das Augenscheinliche. Ich sage nur Schleifen, Kitten, Zwischenschliff, neuer Anstrich …




Ein Ballet aus Resten und nicht passenden Schubladen
Ich wollte die alten Schubladen Laufleisten verwenden, doch das Spiel ist mir zu groß, also mache ich neue aus Esche, die Eiche ist aus. Die letzten Leistenreste stückle ich zusammen, um schöne Echtholzkanten für die Korpen zu machen. Wenn schon die Deckkanten Frankenstein waren, so ist das hier die Steigerung.




Natürlich passen die Schubladen nicht! Zuerst haben Sie zu viel Spiel, dann sind die Fronten falsch ausgerichtet. Ich dachte eigentlich, dass die Wiederverwendung viel Zeit sparen würde, doch falsch gedacht. Es ist unendlich viel anstrengender, wenn man fertige Schubladen in ein neues System einpassen muss. Doch die Resilienz ist mein neuer Freund. Stoisch nehme ich Rückschlag nach Rückschlag hin, stehe auf und mache weiter.


Rollkästen: es kommt zusammen was zusammen gehört
Kabeldurchführungen, Rollen und viel Geschleife das folgte. Um die Geduld meiner Prinzessin nicht zu verspielen, platziere ich strategische Kuchen in der Küche und nehme zumindest einen der Wirbelwinde für maximal 30 Minuten mit in die Werkstatt. Für einen 4-Jährigen ist 30 Minuten die Grenze, bevor Interesse an der Tätigkeit des Vaters in den Gedanken abschweift, was wohl passiert wenn man mit einem Hammer auf eine frisch gestrichene Holzoberfläche mit voller Kraft einschlägt. Mit viel Glück kann man die 30 Minuten auf 38,34 Minuten erstrecken wenn man den geliebten Werkstattsauger opfert, liebe Brüder und Schwestern der Werkstatt.


Nachdem die Macker aus der Deckplatte herausgeschliffen waren, wurden sie mit Exzenter Möbelverbindern verbunden. Die Verbindung ist lösbar und außerdem wollte ich die neue Schablone ausprobieren.



Oster-Ölung im April
Die zwei Brüder standen in der Werkstatt, einer breit und fröhlich grün für unseren (noch) Bodenfernseher, der andere schmal und elegant grau für den Geburtstag meiner Mama (das Weihnachtsgeschenk ist zu einem Ostergeschenk geworden). Im Rückblick kann ich nicht sagen, wann und wie ich es geschafft habe, in meinem übervollen Leben diese zwei Rollkästen-Brüder zu fabrizieren.






Drei Jahreszeiten haben mich die zwei Brüder beschäftigt, von winterlichen Gefühlen bis zum frühlingshaften Aufbruch. Aus Alt wurde etwas Neues, ein ewiger Kreislauf. Es wurde das längste „kurze“ Projekt, aber ich freue mich über das Ergebnis, und meine Familie hoffentlich auch.
Ich mache mir jetzt einen Kaffee und höre mir italienische Lieder von Carlo Bergonzi an, dass hab ich mir verdient, bevor das nächste Projekt startet.
Frohe Ostern ! euer Cultor
Es rattert in meinem Vorzimmer, ungewöhnlich, die Mäuse haben bereits jede Scham abgelegt und nerven mich schon am Tag. Noch bevor ich einen Gedanken weiter spinnen kann, schnellt ein Leopard in mein Wohnzimmer und ich realisiere, meine Salzburger sind früher als erwartet angekommen. Leopold springt mit seiner übervoller Freude in unser Leben .
Was denkt eine Großmutter als erstes, haben sie Hunger? Aber das vorbereitete Erdäpfelgulasch schmurgelt bereits seit einer Stunde am Herd. Es ist Karfreitag und unser Familienosterfest beginnt.
Noch bevor ich Tristan in die Arme nehmen kann, das Rattern aber unaufhörlich näher rückt, meine Aufmerksamkeit bindet, wie der herrliche Duft des am Ofen gurgelten Gulasches. Plötzlich steht mein Sohn da, er erscheint mir so groß, gut ich werde scheinbar schon kleiner , aber was schiebt er da vor sich her? Nein, ein echter Cultor Rollkasten für meinen Fernseher.
Ich bekomme mein erstes Werkstück geschenkt. Ich sag euch, es ist so schön, als ich zärtlich über die samtweiche Eichenholzplatte streichle, erfüllt mich ein tiefes Glücksgefühl. Und erst die Laden, ich will nie mehr Ikea , dass ist gewiss.
Ich fühle die vier Jahreszeiten in meinen Händen und strahle !!
Danke Felix!!!!!
Viele Dank für die wunderbare Reprise! Ein Geschenk aus vollem Herzen, viel Freude mit dem kleinen rollenden Stück Cultor im Wohnzimmer